Am Valentinstag erschien meine Twitter-Horrorgeschichte „Als der blaue Vogel blind wurde„, und ich möchte an dieser Stelle auf drei Fragen eingehen, die mir nun häufiger gestellt worden sind.
- Was zur Hölle ist daran Horror?!
- Wieso speziell Social Media Horror?
- Warum ausgerechnet auf Twitter, und nicht Instagram, Facebook, Snapchat o.ä.?
Was zur Hölle ist daran Horror?!
Die Frage ist nachvollziehbar. In „Als der blaue Vogel blind wurde“ gibt es keine typischen Horrorfilmelemente. Unter Horror versteht man dank Filmen wie Nightmare on Elm Street, Saw, Die Frau in Schwarz, 28 Days later, Das Schweigen der Lämmer, Scream & Co. in der Regel etwas anderes. Man denkt an knarrende Türen, maskierte Killer, Zombies, umherrückende Möbel, rückwärts sprechende Besessene, Dämonen und vor allem Jump Scares. Schockeffekte, Blut und Nervenkitzel. Danke Hollywood.
Dass wir uns nicht missverstehen: ich mag solche Horrorfilme. Ich mag sie so gerne, dass ich sehr sehr viele Horrorfilme geguckt habe (und wenn ich „sehr viele“ sage, dann meine ich „so dermaßen unglaublich viele, dass ich eine vollständige Liste nichtmal unter Gewaltandrohung zustande bekäme“). Und deswegen begannen mich diese ganzen, oben aufgeführten Klischees mehr und mehr zu nerven. Es ist immer das gleiche. Und spätestens, wenn man beim zigsten Teenieslasher schon bei der Vorstellung des Casts ausmachen kann, in welcher Reihenfolge gestorben wird, hat man keinen Spaß mehr dran. Also dachte ich mir: da muss es doch noch etwas anderes geben.
Und das gab es auch. Zwei Filme, die mich sehr beeindruckt haben (obwohl ich weder den einen, noch den anderen auch nur Ansatzweise als Lieblingsfilm bezeichnen würde), sind „Get Out“ und „Us„. Beide stammen vom Regisseur Jordan Peele, und sie laufen unter dem Schlagwort „Social Horror“. Die Bedrohung, so die Botschaft dieser Filme, entsteht nicht durch Geister, Aliens oder Psycho-Killer, sondern durch die Gesellschaft. Oder auch nur durch Teile der Gesellschaft, aber wie auch immer: der Horror wird hier nicht als etwas Fremdartiges, etwas „Anderes“ dargestellt, das von außen in die eigene heile Welt einbricht, sondern als etwas, was uns eigentlich vertraut erscheint – und dann plötzlich ein ganz anderes, unheimliches Gesicht zeigt. Ein meisterhaft inszeniertes Beispiel dafür ist die Szene in „Get Out“, in welcher der Hauptdarsteller während einer Party die Treppe hochgeht. Wer den Film gesehen hat, weiß was ich meine.
Diese Art des Horrors ist halt völlig anders. Hier zuckt man nicht zusammen (was einem allerdings häufiger wegen des überlauten Soundeffekts unterläuft als wegen dem, was wirklich passiert) und hier hält man sich nicht die Hände vor die Augen, weil die Folterszene zu heavy ist – hier merkt man ein langsames Kippen in der Atmosphäre, man nimmt eine Bedrohung war, auch wenn man sie vielleicht noch nicht benennen kann. Eine ähnliche Technik wurde auch von Schriftstellern wie H.P. Lovecraft, Edgar Allan Poe oder Jorge Luis Borges angewendet – alle drei Autoren, die ich gerne gelesen habe.
Wieso speziell Social Media Horror?
Vom Social Horror zum Social Media Horror also. Social Media ist ja nun nicht das allerneuste Phänomen, und natürlich werden Facebook, Instagram & Co. auch in Romanen und Filmen als selbstverständlicher Teil des Alltags gezeigt, auch im Horror-Bereich. Filme wie „Unknown User“ oder „Unfriend“ sind Horrorfilme, in denen Social Media eine zentrale Rolle spielt. Dabei hat der Film das naturgemäße Problem, dass Social Media-Kommunikation sich sehr schwer filmisch abbilden lässt. Experimente wie „Open Windows“ mit Elijah Woods sind eher selten, und halt auch recht sperrig zu goutieren. Positiv zu erwähnen ist die britische Serie „Black Mirror“, die in vielen Episoden dystopische Szenarien von Social Media-Auswüchsen thematisiert.
Bücher haben es da weitaus einfacher, und so gibt es da eine recht große Bandbreite. Angefangen bei Thrillern wie „Final Cut“ von Veit Etzold bis hin zu Science Fiction wie „The Circle“ von Dave Eggers wird der Horror beschrieben, der durch Social Media verursacht werden kann.
Bei genauerer Betrachtung ist der Großteil dieser Geschichten allerdings recht konventionell. Social Media liefert hier im Grunde nur das Setting für Handlungen, die man in dem Genre dann bereits zur Genüge kennt. Bei „Unfriend“ ist es ein herkömmlicher Geist, der halt statt durch ein altes Schloss durch ein soziales Netzwerk spukt, und bei „Final Cut“ nutzt ein Killer Facebook, um seine Opfer zu finden, statt ihnen nach alter Väter Sitte in einem Camp am See aufzulauern. Social Media ist nur eine modernisierte Kulisse für altbekannte Szenarien.
Viel interessanter ist es doch, wenn man die kommunikativen Eigenheiten eines Social Media-Mediums (sic!) nimmt, und sie zur Quelle des Horrors macht. Die Serie „Black Mirror“ macht das teilweise sehr geschickt. Und zwar nicht in Form von Menschen oder Entitäten, die diese Eigenheiten nutzen – sondern in Form des Mediums selbst. Und darum ging es mir auch bei „Als der blaue Vogel blind wurde“.
Warum ausgerechnet auf Twitter?
Bei diesen berüchtigen Social Media-Seminaren, wo man 1.000 € pro Tag zahlt, damit einem zappelige Typen Wörter wie „Content Strategie“, „Conversion Rate“ und „Unique Selling Point“ um die Ohren schmettern, ist man sich weitestgehend einig: von allen sozialen Netzwerken ist Twitter das mit Abstand schlimmste. Twitter verhält sich zu Instagram wie eine Bahnhofskneipe zum Adlon, und das nicht nur aus Marketingsicht.
Twitter ist eigentlich ein Microblog, wo jeder seine Gedanken äußern kann. Früher in 140 Zeichen, inzwischen in 280. Politiker und Journalisten twittern kurze Kommentare und Meinung zu Sachverhalten und Ereignissen, Teenager äußern tagebuchartige Gedankensplitter, Menschen bringen mehr oder weniger tiefgründige Sinnsprüche, und zwischendurch GIFs, Flirts, Chats der User untereinander.
Im Laufe der Zeit wurden immer mehr Funktionen zu Twitter hinzugefügt, die das Chaos verschlimmert haben. Durch Replys (also Antworten auf Tweets), Threads (der Möglichkeit, mehrere zusammenhängende Tweets zu verfassen) und dem Quoting (das berüchtigte Zitieren-und-mit-Kommentar-versehen von Tweets) ist mit der Zeit ein Kommunikationsmonster geschaffen, das im Grunde hinten und vorne nicht funktioniert: Twitterer diskutieren, obwohl sich Twitter auf Grund der Zeichenbegrenzung und der unübersichtlichen Replystruktur nicht zum Diskutieren eignet, Twitterer nutzen die Reply-Funktion wie Chats, obwohl sie maximal sperrig ist, und Twitterer lieben es, Äußerungen durch Quotes aus dem Kontext zu reißen.
Und rechnet man nun hinzu, dass pro Sekunde 6.000 Tweets abgesetzt werden, was immerhin 500 Millionen pro Tag sind, dann bekommt man vielleicht auch noch eine Ahnung von dem Tempo, dass auf Twitter vorherrscht. Wenn man mal einen Tag nicht auf Twitter ist, hat man gut und gerne drei Shitstorms verpasst, und wenn man unter einem Tweet vom Vortag repliet kommt man sich immer ein wenig wie abgehängt vor.
Es kommt aber, wie so häufig, auf die Perspektive an. Betrachtet man Twitter als soziales Netzwerk, kann man abwinken. Als meinungs- und gesellschaftsbildende Instanz? Never. Aber vielleicht als Gesamtkunst. So hat es der Autor und Twitter-User Gabriel Berlin in einem Artikel bei Uebermedien abgebildet. Twitter zu lesen ist wie eine „Druckbetankung mit Welt“. Twitter, als Ganzes wahrgenommen, sei eine Art kollektives Unterbewusstsein, wo man kurze Einblicke in die Lebenswirklichkeiten und Gedankenwelten hunderttausender Menschen erhält. Oder, wie es die Twitter-Userin Flamingo formuliert:
Und das macht es zu einem perfekten Schauplatz für den Horror, der sich einstellt, wenn seine Äußerungen ungehört verhallen. Für die menschliche Urangst, nicht wahrgenommen zu werden und kein Teil der Gemeinschaft zu sein.
„Als der blaue Vogel blind wurde“ gibt es als eBook hier zu kaufen. Eine Leseprobe gibt es hier. Achtung: einige der hier aufgeführten Links sind Partnerlinks. Die Zeichnung des Beitragsbilds ist dem Buchcover entnommen und wurde von der Twitter-Userin @pls_fck_u angefertigt.