„Hurensohn!“ – Was Sexarbeit und frauenfeindlicher Rap gemeinsam haben

Okay. Ich bin mir bewusst, dass der gedankliche Spagat, den ich hier mache, dermaßen gewagt ist, dass mein Arsch ernsthaft gefährdet ist, wenn ich ihn nicht schaffe und hinknalle. Ich wage ihn trotzdem.


Grund für diesen Text ist die Aktion #UnhateWomen des Vereins Terre des Femmes. Der Verein Terre des Femmes „unterstützt von Gewalt betroffene Mädchen und Frauen durch Aktionen, Öffentlichkeitsarbeit, Förderung von Projekten und internationale Vernetzung. Die Schwerpunktthemen der Organisation sind häusliche und sexualisierte Gewalt, Zwangsheirat und Ehrverbrechen, weibliche Genitalverstümmelung sowie Frauenhandel und Prostitution.“ Kurz: ohne Zweifel ist die Arbeit dieses Vereins richtig und wichtig.

Was aber nicht bedeutet, dass ich alles gut heiße, was der Verein macht. Beispielsweise besagte #UnhateWomen-Kampagne. In dieser werden Zeilen aus Songtexten von Kurdo bis Farid Bang zitiert mit dem Hinweis, diese zu teilen, wenn man gegen „frauenfeindliche Hate Speech“ sei. Hier bekomme ich nervöses Augenzucken. Aus biographischen Gründen, denn ich stand mehr als einmal vor Gericht, weil Songtexte von mir wörtlich genommen, als „Hassrede“ klassifiziert und durch den Filter diverser StGB-Paragrafen betrachtet worden sind. Kunstfreiheit ist seit 2007 eines meiner persönlichen Anliegen.

Außer dieser Kampagne gibt es jedoch noch einen thematischen Schwerpunkt von Terre de Femmes, mit dem ich nicht übereinstimme, und das ist deren Haltung zur Prostitution. Dabei rede ich nicht von deren bedingungslos unterstützenswerter Arbeit, Zwangsprostitution und Menschenhandel zu bekämpfen — nein. Sondern davon, dass Terre de Femmes sich generell gegen Prostitution ausspricht. TdF wünscht eine Welt ohne Prostitution, und will zu diesem Zweck den Sexkauf, also den Freier, kriminalisieren. Prostituierte bekommen Hilfe beim Ausstieg angeboten. Das ist, als würde man den Verkauf von Koks legalisieren, den Konsum aber unter Strafe stellen. Grundsätzlich werden Prostituierte als Opfer der Umstände gesehen, und freiwillige Sexarbeit kommt im Mindframe von Terre des Femmes nicht vor. Für die Menschen, die aus freien Stücken als Sexworker arbeiten, ist das ein Schlag ins Gesicht, nachvollziehbarerweise.

Um diese beiden Themen — frauenfeindliche Musik und Prostitution — geht es in diesem Text, und auf den ersten Blick haben sie überhaupt nichts miteinander zu tun. Und doch gibt es bei näherem Hinsehen Gemeinsamkeiten: beide Themen haben einen gesellschaftlich schwierigen Stand. Beide Themen polarisieren extrem, und sorgen bei der Mehrheit der Menschen erst einmal für Ablehnung und Distanzierung. Dennoch haben Menschen zu beiden Themen meistens eine verhältnismäßig starke Meinung, ohne sich intensiver mit ihnen auseinandergesetzt zu haben, was wohl daran liegt, dass beide Themen sehr emotional aufgeladen sind. Und beide Themen haben eine Gemeinsamkeit, die sich auf ein Wort reduzieren lässt: Hurensohn.

„Hurensohn“ gilt laut Wikipedia „traditionell als eine besonders schwerwiegende Beleidigung, da sie sich nicht nur gegen den Beleidigten selbst, sondern auch gegen die (…) Ehre der Mutter, richtet“ – das sagt zum einen so ziemlich alles über das gesellschaftliche Ansehen von Sexarbeit aus, zum anderen aber auch, warum der Begriff im traditionell provokanten Deutschrap-Genre gerne und häufig genutzt wird. Speziell im Battlerap gehörte es lange Zeit zum guten Ton und quasi Standardrepertoire, den Gegner „Hurensohn“ zu nennen und verbal „seine Mutter zu ficken“. Konsens ist hier, dass die Beleidigungen im Rap-Kontext nicht wörtlich zu verstehen sind. Und ebenso kämpfen Sexworkerverbände seit längerem für Aufklärung und dafür, das Ansehen von selbstbestimmt arbeitenden Prostituierten zu verbessern, und von der gesellschaftlichen Ächtung zu befreien, die dieser Berufsstand auch wegen eines kriminellen Millieus hat, das Frauen zur Prostitution zwingt; wodurch das Wort „Hurensohn“ als Beleidigung seine Wirkung verlieren würde.

Vielleicht kann man hier auf eine weitere Gemeinsamkeit von Sexarbeit und frauenfeindlichem Rap hinweisen: denn so wie physische und psychische Gewalt gegen Frauen ebenso wie Zwangsprostitution und Menschenhandel indiskutabel und verachtenswert ist und vollkommen zurecht gesellschaftlich geächtet und bekämpft werden muss, so ist künstlerisch dargestellte Gewalt gegen Frauen ebenso wie eine Person die sich selbstbestimmt prostituiert, gänzlich anders zu behandeln.

Das müsste erst einmal einleuchtend klingen. Doch bei beiden Themen, und das ist auffällig, fällt es Leuten bemerkenswert schwer, in diesen Punkten zu differenzieren. Das mag auch mit dem jeweiligen Umfeld zu tun haben: oft bekommen Frauen, die bspw. einen sexistischen Raptrack kritisieren, von random Rap-Fans (oder auch mal den Artists selber) Kommentare reingedrückt à la „Lol du hast doch kein Plan von Rap geh kochen du Fotze xD“. Und vielen Freiern ist es wohl vollkommen egal, ob die Prostituierte, deren Dienste sie gerade in Anspruch nehmen, ihren Job aus freien Stücken machen, oder dazu gezwungen worden sind, solange sie auf ihre Kosten kommen. Das hat zwar beides überhaupt nichts mit dem jeweiligen Thema an sich zu tun, prägt aber natürlich die Sichtweise darauf. Ebenso häufig sorgen meinungsstarke, aber voreingenommene Stimmen dafür, dass beide Themen nur im Sinne ihrer Meinung geframed werden. Jeder erinnert sich noch daran, wie Alice Schwarzer im Rahmen einer Talkshow einen Songtext von King Orgasmus verlas und ihn anschließend fragte, wie er denn bitte auf so etwas käme; wohlwissend, dass der verlesene Text mit der Überlebenden einer Gruppenvergewaltigung in der Runde natürlich eine ganz andere Wirkung hat als über einen Beat gerappt. Oder die SPD-Politikerin und Prostitutionsgegnerin Leni Breymaier, die behauptet, keine Frau würde sich freiwillig prostituieren, und wenn sie das täte, dann wäre sie als Kind missbraucht worden, wodurch sie das Bild reproduziert, eine Frau, die sich prostituiert sei grundsätzlich ein Opfer.

Natürlich sind all diese Aspekte legitime Kritik, die zu der jeweiligen Diskussion über frauenfeindlichen Rap und Prostitution dazugehören und thematisiert werden müssen. Die Themen sind hochproblematisch, und ich kann verstehen, dass es einem Gegner von frauenfeindlichen Rap bzw. Prostitution zu wenig ist, wenn einfach lapidar gesagt wird „Ach, das ist halt Kunstfreiheit“ bzw. „Ach, das ist ein Job wie jeder andere“. In allzu vielen Fällen ist es eben nicht so einfach, und es werden Grenzen zu reeller physischer Gewalt gegen Frauen bzw. zur Zwangsprostitution überschritten.

Doch ein weiterer Punkt, der aber ebenfalls auf beide Themen zutrifft: sowohl frauenfeindlicher Rap als auch Prostitution sind trotz ihres gesellschaftlich schwierigen Standes keine Nischenphänomene. Ganz im Gegenteil: Terre de Femmes hat neben die Zitate aus den Songtexten auch die Spotify-Plays der Tracks gestellt, und die ist mit meistens siebenstellig nun einmal nicht eben gering. Und von der Zahl der Männer, die die Dienste von Prostituierten in Anspruch nehmen — selbst wenn sie diesen Beruf öffentlich verdammen — möchte ich an dieser Stelle gar nicht erst anfangen. Es handelt sich also um Themen, die mit all ihrer Widersprüchlichkeit einen ziemlich großen Teil der Bevölkerung betreffen, und sie einfach als „schlecht“ oder „falsch“ abzulehnen würde der Komplexität der Realität nicht gerecht.

Im Falle von frauenfeindlicher Musik sei bspw. auf den katalytischen Aspekt hingewiesen, also der Ersatzfunktion von Kunst: Man hört solche Texte ebenso, wie man in Call of Duty Gegner abknallt oder in SAW dabei zusieht, wie einer Leute zu Tode foltert: um sich abzureagieren, Aggressionen abzubauen, Spannungen zu lösen, dem inneren Schweinehund freien Lauf zu lassen — wohlwissend, dass diese Dinge mit der Realität nichts zu tun haben. Und im Falle von Prostitution sei auf Menschen verwiesen, die, weil sie entstellt, körperlich oder geistig behindert sind, kaum eine Chance haben, auf normalem Weg Sex zu haben.

Und auch bei „Hurensohn“, dem Wort, das beide Themen verbindet, lässt sich Positives entdecken. Lange Zeit war dieses Wort auf Grund der o.g. Gründe die schlimmste Beleidigung, die man im Rap seinem Gegner angedeihen lassen konnte; entsprechend häufig wurde sie angewendet. So häufig, dass sie irgendwann zu einem Meme wurde. Irgendwann wurde es als Adjektiv genutzt („Der Tag heute war so hurensohn“), manche Rapper nannten sich selber so zur allgemeinen Belustigung. Heutzutage wird das Wort kaum noch benutzt, und wenn, dann wirkt es mehr wie ein Jux. Als „schwerwiegende Beleidigung“ mag es nicht mehr funktionieren.

So ist kurioserweise zumindest im Deutschrap eines der Anliegen von Sexworkerverbänden verwirklicht worden. Und das kann man durchaus als gesellschaftlichen Fortschritt sehen.

3 Gedanken zu „„Hurensohn!“ – Was Sexarbeit und frauenfeindlicher Rap gemeinsam haben

  1. Klar ist Gewalt und Darstellung von Gewalt unterschiedlich. Nur fehlt oft jede Distanz. Gewalt wird nicht kritisch dargestellt, sondern oft geradezu verherrlichend oder einfach nur zur stupiden Unterhaltung, zum Wichsen für Wichser. Und da ist halt die Grenze zum Akzeptablen, auch die Grenze zu dem, was Kunst überhaupt ist, überschritten. Von einer Trennung von Fiktion und Realität kann auch keine Rede sein.
    Das „Abreagieren“-Argument galt übrigens lange auch für die Prostitution, bei manchen gilt es wohl noch: Sollen sich die Männer doch an Huren abreagieren, statt „ehrbare“ Frauen zu „schänden“. In beiden Fällen ist das Argument absurd (von der Unwirksamkeit im intendierten Sinne ganz zu schweigen) : Wer sich zu frauenfeindlicher und/oder gewaltverherrlichender „Kunst“ „abreagiert“, hat riesige Probleme, die er angehen sollte. Nur das hilft. Und Prostitution ist einfach ein Dienstleistungsgewerbe, das ohne Sexnegativität und überholte Moralvorstellungen *an sich* völlig akzeptabel ist, sofern sie auf selbstbestimmter und freiwilliger Basis erfolgt. Von daher ist auch der Vergleich daneben: Ein Vergleich von Schlechtem und Guten.

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  2. Der Beitrag ist differenziert und macht es sich nicht einfach.
    Den Begriff der Kunstfreiheit einzufordern, wenn ich das weibliche Geschlecht – also die halbe Menschheit – prinzipiell herabwürdigend darstelle, kann ich nicht nachvollziehen. Dann stelle ich die Frage: Aus welchem Motiv heraus tut jemand so etwas?
    Die Link-Funktion des Begriffs „Hurensohn“ als Bindeglied zwischen den Themen Prostitution und frauenfeindlicher Rap ist zwar irgendwoie

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