Wie Pandemie, Lockdown und Querdenkerdemos zu Frust, Wut und Gewaltfantasien führen. Und wie deren künstlerische Umsetzung uns vielleicht retten kann.
Was die aktuelle Situation mit uns macht, habe ich im letzten Teil dargestellt. Im dritten Teil befasse ich mich mit der Frage, wie Fiktion auf unseren Alltag einwirkt. Das gängige Vorurteil, künstlerische Gewaltdarstellung würde zu Nachahmungstaten anregen, muss schließlich irgendwoher kommen. Und ich frage mich, was für eine Art von Kunst wir benötigen, um den Wahnsinn, der unsere aktuelle Realität darstellt, einigermaßen bewältigen zu können.
Teil 3: Schrotflinte & Kettensäge
Hey na. Willkommen zurück. Setzt euch. Nehmt einen Keks. Ich hab neuen Kaffee geholt und höre mongolische Folklore zum Entspannen. Und sind sie nicht lieblich zu lesen, diese ersten Worte, die nach dem geschwärzten Wutausbruch vom Ende des letzten Teils nun schüchtern im Intro des dritten Teils herumtapsen?
Ich hab diese Zensurbalken nicht benutzt, weil ich wissen wollte, wie es sich anfühlt einen Text zu schreiben, der wie die Akte einer misslungenen CIA-Operation aussieht. Das waren keine Manierismen. Ich hab aber tatsächlich keine Ahnung, wie entspannt mein Hoster im Hinblick auf uneigentlich geäußerte Gewalttätigkeiten reagiert. Twitter war da ja nun nicht so relaxt, nech.
Der Hauptgrund dafür, dass Web2.0-Plattformbetreiber wie Twitter, Facebook etc., aber auch analoge Jugendschutzinstitutionen solche Äußerungen reglementiert wissen wollen, ist immer derselbe: LeUtE kÖnNtEn dAs eRnSt nEhMeN. Gewaltdarstellung oder -verherrlichung könne Leute zu Nachahmungstaten inspirieren oder „sozialethisch desorientieren“, wie es im Soziologenjargon heißt. Eine diffuse Befürchtung, begründet durch einige sehr wenige, aber eindrückliche Einzelfälle, wie z.B. das Littleton-Schulmassaker oder den „Zombieprozess von Passau“. Zum Glück ist dieses Thema aber auch eines meiner Kernkompetenzen, denn aufgrund der zahlreichen Verfahren wegen Gewaltdarstellung, die gegen mich geführt worden sind, war ich mehr oder minder gezwungen, mit mit diesem Thema zu befassen.
Werden wir durch brutale Kunst selber gewalttätig?
Die Diskussion darum ist auch nicht neu, sie wird mit jeder neuen Kunstform und jedem neuen Medium auch erneut geführt. Ob Splatterfilme, Black Metal oder Egoshooter, neue Medien und Ausdrucksweisen waren immer erstmal der Sündenbock, wenn irgendwelche Konsumenten – meistens Teenager – aus dem Ruder gerieten. Ich wechsel mal wieder die Musik und mache die Horrorcore-Playlist an.

Machen wir es kurz: wissenschaftlich ist nie nachgewiesen worden, dass gewaltdarstellende Kunst einen derart massiven Einfluss auf Konsumenten ausübt. Die Medienforschung ist sich da uneins, und hat zwei Theorien entwickelt: die Stimulations- und die Katharsishypothese. Erstere geht davon aus, dass gewaltdarstellende Medien durchaus einen Einfluss auf Straftaten haben können, während zweitere besagt, dass bildliche Gewaltdarstellung eher beruhigend bis entspannend auf den Rezipienten wirkt. Zu beiden Hypothesen gibt es Studien, die sie jeweils be- als auch widerlegen. Beispielsweise ist belegt, dass Gewalt in den Medien den Ablauf und die Inszenierung realer Gewalttaten beeinflussen kann (hier sind wir wieder bei Littleton oder dem „Zombie-Prozess“) – allerdings nicht als Auslöser gesehen werden kann. Dafür spielen zu viele andere Faktoren eine Rolle. Selbst der Nachweis, dass man nach dem Zocken von „GTA“ oder „Doom“ einen erhöhten Adrenalinspiegel hat, ist kein Beweis dafür, dass man grundsätzlich aggressiver würde, denn Spiele wie „Monopoly“ oder „Mensch ärger dich nicht“ haben dieselbe Wirkung. Und ganz abgesehen davon, dass ich das lebende Beispiel dafür bin, dass gewaltdarstellende Musik beruhigend wirkt („pieces of the body parts scattered in the dirt“ rappt Mass Hysteria gerade, hach!): 62% aller männlichen Achtklässler zocken laut einer Studie von 2013 Egoshooter und ähnliche Spiele. Wie viele von ihnen liefen Amok? Eben. Der schieren Masse an Konsumenten steht eine statistisch nahezu unbedeutend winzige Zahl von Nachahmungstaten gegenüber.
Dass Gewaltdarstellungen einen nachhaltigen Einfluss auf die Realität haben, kann also bezweifelt werden. Es ist eigentlich umgekehrt: die Realität beeinflusst den Grad an Gewalt in der Kunst.
Das Leben macht die Kunst
Das ist keine steile These. Nehmen wir nur zwei meiner bevorzugten literarischen Epochen, den Barock und den Expressionismus: Die Lebensumstände im 30jährigen Krieg bzw. 1. Weltkrieg hatten einen direkten Einfluss auf das Schaffen der Künstler. Aber wir müssen gar nicht soweit zurück: 2004 wurde bekannt, dass im Zuge des „War On Terror“ in den Gefangenenlagern Guantanamo Bay und Abu Ghraib Häftlinge aus Afghanistan und dem Irak gefoltert von US-Soldaten wurden. Das Entsetzen in der westlichen Welt war groß, waren Folter & Co. doch mittelalterliche Verhörtechniken, mit denen man als zivilisierter Mensch nichts mehr zu tun haben sollte. Mit einem Mal war der Westen, der sich dem Rest der Welt stets moralisch überlegen zu fühlen pflegte, wieder mit der hässlichen Bestie konfrontiert, die in jedem von uns wohnt.
Dies machte sich dann auch folgerichtig in der Kunstproduktion bemerkbar: Das Mainstream-Kino wurde durch Torture-Porn-Movies wie „Hostel“ oder „Saw“, und Backwood Slasher wie „The Hills Have Eyes“ oder „Wrong Turn“ geflutet. Und auch ich wurde, wie in Teil 1 angedeutet, von der Diskussion über die „Bestie in jedem von uns“ inspiriert, so dass ich mir den Rap-Character Schwartz erdachte – und mir schließlich diesen Künstlernamen gab. Ja Moin.

Und so sitze ich jetzt hier, 16 Jahre später. Die Welt ist eine andere geworden, aber die Bestie, die in jedem von uns wohnt, die ist spürbarer als je zuvor. Denn die Auslöser sind viel näher. Es geht nicht mehr um Foltergefängnisse am anderen Ende der Welt, es geht um die Dinge, die direkt unseren Alltag betreffen. Die polonaisetanzenden Covidioten in den Innenstädten. Der Wichser ohne FFP2-Maske im ÖPNV. Das Arschloch in der Schlange im Supermarkt, der einem in den Nacken hustet. Jeden Tag werden wir mit dieser Wut direkt und unmittelbar konfrontiert, und wir wissen nicht wohin damit. Ich merke es bei mir selber: ich will diese Leute den ganzen Tag beleidigen, und sie in Horrorszenarien verfrachten, wo ich sie lyrisch in ihre Einzelteile zerlege.
Märchengeschichten beeinflussen die Realität
Aber das ist nicht so einfach. Würde ich das tweeten, würde ich wieder gesperrt werden. Und auch musikalisch geht das nicht so ohne weiteres. Die letzten Prozesse liegen zwar einige Jahre zurück, aber in den AGB jedes Musikvertriebs, jedes Verlags steht die Standardklausel, dass „anstößiger Inhalte insbesondere gewaltverherrlichender (…) Art“ nicht gestattet sind. Ab wann etwas gewaltverherrlichend ist, liegt natürlich im subjektiven Ermessen des Betreibers, und die neigen dazu, aufgrund der ebenso subjektiven Rechtslage lieber vorsorglich zu reglementieren – ehe es juristische Probleme geben könnte. Also schluckt man den schweren Brocken aus Wut wieder runter.
Es ist so absurd in allen Belangen: „Gewaltverherrlichung“ wird nicht gestattet, weil befürchtet wird, die fiktionale Gewalt könne zu Nachahmungstaten anregen. Dabei ist spätestens seit der US-Präsidentenwahl 2016 bekannt, dass es ganz andere Fiktionen sind, die einen Einfluss auf die Realität haben.
Moderne Schauermärchen wie dieser QAnon-Blödsinn, dass eine geheime Elite Kinder entführen und ihr Blut trinken würde, dass es in der Arktis einen geheimen Zugang zur Hohlerde gäbe, wo Hitler mit ein paar Getreuen lebe, oder, ganz aktuell, dass Bill Gates die Covid-19-Pandemie nutzen würde, um uns allen Mikrochips zu implantieren – absurde Horrorstorys wie diese werden von inzwischen 30% der Bevölkerung geglaubt, wie mein Kumpel Jan Skudlarek in seinem Buch „Verschwörung und Wahrheit“ nachgewiesen hat. Ein Drittel der Gesellschaft glaubt an derartige Märchen, die – im Gegensatz zu fiktionaler Gewalt – tatsächlichen Einfluss auf ihr Handeln und damit die Realität haben. Und die die Wut in meinem Bauch und den Wunsch, sie künstlerisch zu verarbeiten, größer werden lassen.
Dass gewaltdarstellende Kunst auf die Realität einwirkt, ist ein Märchen. Wahr dagegen ist: Märchen wirken auf die Realität ein, die zu gewaltdarstellender Kunst führt.
Zurück zum Ursprung

Und ich meine nicht die artifizielle oder eskapistische Gewaltdarstellung, die heutzutage usus ist und die wir gewohnt sind. Die Streaminganbieter quillen über vor Filmen und Serien, in denen geschlachtet und gefoltert wird. Filme und Serien wie „Spartacus“, „Game of Thrones“, „Polar“ u.v.m geizen nicht mit drastischer Gewaltdarstellung – allerdings findet das entweder in irrealen Vergangenheits- und Fantasy-Settings statt, oder durch ironisch-surrealistische Brechung. Märchen halt. Das ist zu weit weg, zu unwirklich. Die Bestie in mir befriedigt das nicht. Eskapismus mag irgendwie nicht mehr funktionieren. Dafür ist das alles zu nah. Es muss wieder primitiv, roh und unmittelbar sein, ohne tieferen Sinn, ohne ironische Distanz.
Vielleicht brauchen wir Filme, in denen Querdenker, die jemanden wissentlich infiziert haben, in Folterkellern zersägt werden, für eine unmittelbare Katharsis. Vielleicht brauchen wir Egoshooter, in denen wir uns mit Pump Gun und Kettensäge durch polonaisetanzende Pandemieleugner arbeiten. Vielleicht brauchen wir Songs, in denen wir unsere Wut auf diese Leute ungefiltert und in tausend Beleidigungen verpackt rausschreien. Vielleicht brauchen wir Web2.0-Plattformbetreiber, die uneigentliche Äußerungen als solche erkennen und einem durchgehen lassen, und die differenzieren können zwischen tatsächlichem Hate Speech und eruptiver Wutbewältigung.
Vielleicht würde uns das alles ein wenig erträglicher machen. Whatever. Ich bin jedenfalls inspiriert. Ich hole den letzten Kaffee, mache einen stampfenden, basslastigen Horrorcore-Beat an und töte endlich den Bastard, der mir neulich im Supermarkt in den Nacken geatmet hat.
Zumindest auf dem Beat.
Vielen Dank fürs Lesen. Ich bin auf Twitter wieder entsperrt, und kann dort fröhlich weiterranten. Naja, bis zur nächsten Sperre halt.
Für die Inspiration zu diesem Text möchte ich den folgenden Twitternutzern danken, deren Ansichten mich direkt oder indirekt beeinflusst haben: @Krajamine @mlewandowsky @FrauBlod @Frohmannberlin @Johannes42 @janskudlarek @beritmiriam @54blog @saschalobo @herrurbach
Ein Gedanke zu „Gewaltfanta – Erfrischung für die Seele (3/3)“